Urlaub auf den Malediven > Memu Atoll > Medhufushi
Am frühen Morgen des zweiten Weihnachtstages 2004 erschütterte gegen 0620 ein leichtes Erdbeben die Inselgruppe der Malediven. Betten und Holzwände vibrierten und weckten sogleich all jene mit einem leichten Schlaf. Die Bedeutung eines Seebebens ist mir noch aus Kindertagen vertraut, so dass ich umgehend die verfügbaren Fernsehsender geschaut und auf eine Tsunami Warnung gewartet habe, TVM (der staatliche Sender der Maldediven) hat die tägliche Frühstückssendung gezeigt und kein Wort über das Beben und eventuelle Risiken verloren. BBC World, CNN und DW-TV haben wohl auch erst zu einem späteren Zeitpunkt über das Beben berichtet.
Gegen 0930 erfasste die Flutwelle unsere Insel, Medufushi füllte sich innerhalb von Sekunden mit Wasser (ca 1/2 – 1 m), darauf folgte noch eine starke Welle von ca. 1 1/2 m, die mit ungeheurer Kraft Bäume entwurzelt und ganze Häuser davon gespült hat.
Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Urlauber gerade noch beim Frühstück, Küche und Verwaltungsgebäude (L-förmig) haben den Speisesaal vor Zerstörung bewahrt, Tische und Stühle wurden jedoch umgepflügt, eine Szene, die Beobachter übereinstimmend an Titanic erinnert hat.
Wir konnten uns auf den Pool flüchten, der noch etwas höher über dem Speisesaal lag und dank des festen Fundaments und Gegendrucks nicht unterspült oder weggerissen wurde.
Die auf Stelzen über der Lagune liegende Bar ist unbeschädigt geblieben, einige Urlauber konnten sich dorthin flüchten.
Mein erster, sich von der Welle lösender Blick, fiel auf die Wasservillen, drei Personen waren auf das Dach einer der Villen die im Wasser trieben, geflüchtet. Es waren Töchter eines französischen Vaters, der gerade mit zwei Söhnen bei einem Tauchausflug war,während sich sein kleinster beim Pool aufhielt.
Einheimische machten sich zu diesem Zeitpunkt ein Boot los und fuhren davon, jedoch nicht um die Mädels zu retten, sondern um sich aus dem Staub zu machen. Erst die Rufe aus hundert Kehlen bewegte sie dann doch dazu, die Mädchen zu retten. Während dieser Rettungsaktion kehrten Vater und Brüder unversehrt von ihrem Ausflug zurück und beobachteten mit großer Sorge den Vorgang.
Unsere privaten Erste Hilfe Vorräte sind leider abgetrieben, wir wären sonst besser als die Insel ausgestattet gewesen. Dort fanden sich nur zwei Kästchen, eins mit drei Dreieckstüchern und ein paar Salben und ein zweites mit vier Mullbinden. Eine Wunderstversorgung konnte nur mit Mühe und dem guten alten „Jack“ geleistet werden.
Wir drei, (meine Schwester und Mutter) haben uns mit einem Luxemburger Pärchen, einer Schweizer Familie (Vater, Mutter, kleine Tochter) und einem süddeutschen Pärchen zusammengetan, gemeinsam die Trümmer nach Medikamenten und Brauchbarem dursucht, Behelfsunterkünfte gebaut und private Latrinen gegraben.
Diese neugewonnene Freundschaft half ungemein vor Ort klar zu kommen und die ersten Aufgaben nach der Katastrophe zu meistern.
Nur Stunden nach der Flut bedienten sich einige Angestellte an den Alkoholvorräten und wurden recht schnell sehr laut, das Management hat dies jedoch noch rechtzeitig unterbinden können.
Am Nachmittag des 26. wurde vom Management der Bau einer öffentlichen Latrine angeordnet, diese war jedoch innerhalb kürzester Zeit unbrauchbar, da eine solch vollkommen heterogene Gruppe, bestehend aus so vielen verschiedenen Kulturen, nicht die notwendige Disziplin aufbringen konnte, um sich an einfachste Hygieneregeln zu halten. Das Areal einer, bis zum Schluß teilweise überfluteten Insel von 200 m x 800 m war für 250 Menschen einfach viel zu klein.
Wir sind daher dazu übergegangen, „Familien-Latrinen“ zu graben, die von unserer kleinen Gruppe genutzt werden konnten und aus Bademänteln Toilettenpapier zu schneiden … Auch haben wir das Süßwasser aus den Feuerlöschern gesichtert.
Dem Managemant gebührt ein großes Lob für die besonnenen Reaktionen, leider waren sie nur Organisatoren, eine richtige Führungspersönlichkeit, die von allen Kulturen vor Ort akzeptiert worden wäre, fehlte jedoch.
Hassan, der taubstumme Poolboy hat sich nach der Katastrophe rührend um uns gekümmert, gemeinsam haben wir mit aus den Trümmern geborgenen Moskitonetzen ein Nachtlager im freien eingerichtet, dieses mussten wir in der ersten Nacht allerdings aufgeben, da ein heftiges Unwetter aufzog und die wenigen geborgenen Kleidungsstücke von neuem durchnässt hat.
Auch die beiden Jungs in der Bar haben die gesamte Zeit ihre Stellung gehalten, obwohl auch sie inzwischen die Nachricht erreichte, dass ihre Heimat Sri Lanka besonders vernichtend von der Welle getroffen wurde.
Später haben wir einige ihrer Landsmänner getroffen, die sich frohen Mutes auf nach Male gemacht haben, um heim zu ihrer Familie zu kommen und dort auf Verwüstung pur treffen werden. Sie hatten zu diesem Zeit noch so viel Hoffnung, keine Bilder aus der Heimat gesehen oder ausführliche Nachrichten gehört.
Wir sind heute, Tage nach der Katastrophe, in Gedanken noch bei all diesen lieben Menschen, das Ausmaß an Solidarität, das wir erfahren haben war so unglaublich, dass sich Wildfremde als Familie fühlten und füreinander alles getan hätten.
Wir wurden letztendlich von einem Kriegsschiff der Pakistanischen Marine evakuiert, eine Fregatte für 170 Mann, ohnehin schon mit 320 überbelegt, nahm 500 zusätzliche Flüchtlinge auf.
Diese Erfahrung ist einzigartig, man hat uns Essen zubereitet und medizinisch erstversorgt, meine Schwester hat ein Antibiotikum gegen eine schwere Mandelentzündung bekommen und mir wurden trockene Socken und eine lange Hose aus privaten Beständen der Pakistanis geschenkt, die später noch unsere Luxemburger Freundin auf dem Rückflug gewärmt hat. Strenggläubige Muslime teilten ihre Waschräume mit leichtbekleideten Frauen und stellten ihre Betten und Plätzchenvorräte zur Verfügung. Neben der Versorgung leicht Verletzter hat der Schiffsarzt zwei Schwerverletzten das Leben gerettet, eine Deutsche Frau litt unter einer Blutvergiftung und wurde auf Male umgehend ins Krankenhaus gebracht. Eine weitere Touristin musste ebenfalls intensiv betreut werden.
Alles in allem hätte es für uns ganz übel ausgehen können, so haben wir nur die gesamte Kleidung, technische Ausrüstung und akademische Unterlagen verloren, auf unserer Insel wurde niemand ernsthaft verletzt, von Fleischwunden und Brüche mal abgesehen, die Nachbarinseln hatten jedoch mindestens drei Tote und mehrere Verletzte zu beklagen, von den Inseln der Einheimischen haben wir leider keine gesicherten Informationen beziehen können.
Nach der Evakuierung wurden wir auf Bandos, einer Insel nahe Male, die derzeit umgebaut wird, untergebracht. Hilfe, z.B. ein trockenes T-Shirt oder frische Unterwäsche war von den Touristen vor Ort nicht zu erwarten, wir mussten alles teuer im Hotelshop kaufen und blöde Kommentare und Blicke unserer fellow Europeans (Italiener) ertragen.
Unser Reiseveranstalter, namentlich DERTOUR, hat sich dann auch noch geweigert, das Geld für die Room-Bill vorzustrecken bzw. für die Zahlung zu bürgen, so dass uns das Management erst nicht zum ersehnten Evakuierungsflug nach Male bringen wollte. Die Rechnung haben wir selbstverständlich gestern schon per internationaler Überweisung beglichen und sind froh, dass wir unsere letzten Dollar lieber den Jungs auf „unserer“ Insel gelassen haben, als sie für T-Shirts auszugeben, die wir auch im Nachhinein noch bezahlen konnten.
Das Bandos Hotel-Team hat auch in anderer Hinsicht versagt, weder war wie versprochen die Wäsche innerhalb von ein paar Stunden gewaschen, noch wurden uns extra-Decken oder Saris gebracht, um Kleidung zum Wechseln zu haben oder meine kranke Schwester warmzuhalten.
Nach all den positiven Erfahrungen in der Krise war dieses Verhalten schon äußerst enttäuschend, erst auf deutschem Boden, in der LTU Maschine nach Frankfurt haben wir wieder erstklassige Betreuung erfahren und wurden dann am Frankfurter Flughafen abgeschirmt von der Presse in Empfang genommen.
Es wird noch einige Zeit dauern, bis wir mit der Situation klarkommen, wir wissen nun nur zu gut, wie sich Freunde und Verwandte von Opfern fühlen müssen, von denen es noch keine Lebenszeichen gibt, und wir sind in Gedanken bei all denen, die diese fürchterliche Katastrophe verletzt überlebt haben und so langsam erst wieder nach Europa ausgeflogen werden.
Wir hatten Angst um unser Leben, berechtigt wie nie zuvor, und können von Glück sagen, dass alle die Welle überlebt und die Tage ohne Strom, fließend Wasser, im Regen und Schlamm heil überstanden haben.
Danke an alle Helfer und alles Gute für 2005.
Düsseldorf, den 01. Januar 2005
P.S. DERTOUR hat sich zwischenzeitlich mit einem Riesen-Blumenstrauß bei unserer Mutter entschuldigt, ich habe darüberhinaus eine persönliche Entschuldigung der Geschäftsführung erhalten, offenkundig durch meine Postings in diversen Internet-Foren motiviert. Trotz allem bleibt unsere Kritik an der mangelhaften Kommunikation und den unverschämten Kommentaren der Hotliner in Frankfurt bestehen, so wurden selbst Briefe, in denen wir detailiert Feedback gegeben haben, nur mit Standardschreiben beantwortet. Das kann nicht sein.
Artikel in der Rheinischen Post
Rheinische Post > Stadtpost > 31.12.04 Gerettet – von pakistanischem Kriegsschiff